Den Ausgangspunkt dessen, was Fethi Benslama als "islamischen Bürgerkrieg" zwischen Fundamentalisten und Vertretern eines modernen Islam bezeichnet, datiert er auf den Ägyptenfeldzug Napoleons vor über 200 Jahren. Für Benslama ist es der Schlüsselmoment der Kolonialisierung und damit zugleich der Auftakt zum gegenwärtigen Kampf der Dschihadisten gegen liberale Muslime und die säkulare Gesellschaftsform des Westens. Fethi Benslama:
"An diesem Punkt teilt sich die muslimische Welt zwischen denen, die gegen Kolonialismus und Verwestlichung ankämpfen wollen, und denen, die diese Entwicklung akzeptieren und versuchen, Aspekte der Modernisierung zu übernehmen. Die Dschihadisten von heute kommen nicht umsonst vor allem aus den ehemaligen Kolonialländern Frankreich, Großbritannien und Belgien. Und die ehemaligen Kolonialmächte beteiligen sich bis heute an den Kriegen in vielen muslimisch geprägten Regionen. Diese Kontinuität bewirkt, dass die Idee des Krieges viele junge Menschen mobilisiert. Laut der dschihadistischen Theorie führt der Westen seine 'Kreuzzüge' gegen den Islam bis heute fort."
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Die Säkularisierung und Modernisierung hat die Fundamente des Islam erschüttert. Die Fundamentalisten wollen diesen Prozess eindämmen, indem sie immer größere Selbstopfer bringen."
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"Diese Kleinkriminellen fühlen sich schuldig, sie haben ein äußerst schlechtes Selbstbild. Als Übermuslim haben sie plötzlich die Möglichkeit, zum Helden zu werden und sich mithilfe eines vermeintlich göttlichen Gesetzes selbst aufzuwerten. Paradoxerweise erlaubt die Radikalisierung zugleich, weiterhin als Krimineller zu leben, aber dieses Mal mit der Legitimierung durch Gott. Der radikale Islamist gewinnt also auf ganzer Strecke: er wird zu jemand wichtigem und zugleich tilgt er seine Schuld als Krimineller, denn er begeht seine Straftaten ja im Namen Gottes."
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"Das Profil des typischen Terroristen - so etwas gibt es nicht. Es geht immer um besondere Umstände, in denen jemand sich in einer tiefen Krise befindet, und dann den Weg des Dschihad einschlägt. Einigen, aber nicht allen jungen Menschen, die eine Krise durchleben, verspricht die Radikalisierung die Lösung all ihrer Probleme. Sie fühlen sich schuldig, klein, unbedeutend, nicht anerkannt. Wenn man so jemandem das Angebot macht, plötzlich groß, bedeutend und heroisch zu sein, sich von seinen Sünden reinzuwaschen, dann ist das für sie ein idealer Ausweg aus ihrer seelischen Notlage. Die Radikalisierung ist eine Form der Selbsttherapie."
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Zugleich verlangt er konkrete politische Maßnahmen und Gesetze zur Modernisierung des Islam in Europa, was religiöse Toleranz, die Rolle der Frau und das Bekenntnis zur demokratischen Gesellschaft angeht. Keine Religion sei von sich aus demokratisch organisiert. Anders als das Judentum und das Christentum habe der Islam den schwierigen Weg der Demokratisierung noch vor sich, meint Benslama. Der Terror, so glaubt er, wird uns noch Jahrzehnte begleiten.
Zeitgeschehen
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